Wir sind ganz froh, als wir unseren mehr als neugierigen Herbergswirt in Jodhpur wieder verlassen können. Er ist ja ganz nett und wirklich hilfsbereit, aber wenn er dauernd „angeschlichen“ kommt und mit uns ins Smartphone oder den Rechner starrt, erscheint er uns dann halt doch recht aufdringlich. Der kleine Innenhof unseres traditionellen Havelis (so heißen die Stadthäuser, die sich wohlhabende Handelsreisende in dieser Region gerne errichten ließen) ist ordentlich vollgeparkt, so dass wir erstmal das Ausparkspiel spielen müssen, bevor wir hier rauskommen. Aber heut haben wir es eh nicht übermäßig eilig, auf den gut ausgebauten Straßen hier sind die 200 km bis Pushkar kein Problem. Leider heißt das aber auch, dass die Fahrt selbst nicht besonders interessant ausfällt. Immer wieder muss ich mich dran erinnern, dass „nur ganz kurz die Augen zu machen“ auf dem Motorrad keine Option ist. Nur ab und zu unterbricht eine Kalkbrennerei oder eine Ziegenherde die Einöde. Oder halt ein Stier mit gaaanz dicken Dingern…
Pushkar ist mal wieder eine von den ganz heiligen Städten. Rund um einen kleinen See liegen über 50 Ghats, Treppen, über die hinduistische Pilger den See erreichen können um darin zu baden und ihre Seelen von vergangenen Sünden zu reinigen. Das Pushkar-Fest, mit dem riesiger Kamel-Markt, ist die eigentliche Attraktion dieser Stadt, allerdings findet es im Herbst statt und hat daher nicht in unsere Reiseroute gepasst. Dort angekommen sind wir von dem Städtchen nicht sonderlich begeistert. Der komplette Ort besteht nur aus Souvenirshops und jeder – wirklich jeder – Verkäufer versucht penetrant seine Waren an den Mann zu bringen und so werden wir pausenlos angequatscht. Zu allem Überfluss schlägt in der ersten Nacht auch noch das Wetter um und so verbringen wir den verregneten Tag lieber in unseren warmen Schlafsäcken im Bett. Nur gut, dass die Pizza am ersten Abend so riesig war, dass sie mühelos für ein halben weiteren Tag ausreicht. Die Pizzeria ist dann auch schon das Beste an Pushkar. Wir lieben zwar das indische Essen, aber etwas Abwechslung von Zeit zu Zeit tut dem Speiseplan ganz gut.
Ohne auch nur einen der angeblich über 500 Tempel hier angeschaut zu haben, brechen wir Richtung Bikaner auf. Wie wir serst dort merken, verpassen wir auf dem Weg einen weiteren Tempel, den ich eigentlich wirklich gerne besichtigt hätte: Im Karni-Mata-Tempel werden tausende Ratten von den Pilgern verköstigt, da Ratten als wiedergeborene Rajputen gelten. Das muss wirklich mal ein interessanter Anblick sein. Da ich aber mit der Anordnung der Sehenswürdigkeiten in unserem ebook-Reiseführer absolut nicht zurechtkomme, hab ich das wohl leider übersehen. Aber auch Bikaner hat einiges zu bieten, was uns mal wieder überrascht. Im Reiseführer mit wenigen Sätzen abgespeist, gefällt es uns deutlich besser als das hochgelobte Udaipur oder Pushkar.
Aber erst einmal muss man nach Bikaner hineinkommen. Wie immer, wenn in Indien Straßen- und Schienenverkehr aufeinandertreffen, bricht Chaos aus. Wenn die Schranke unten ist, wird der Platz auf der Straße bis auf den letzten Millimeter von Moppeds, Rikshas, Handkarren und Lastenrädern aufgefüllt – und zwar auch auf der Gegenspur. Ist immer wieder hochinteressant zu beobachten, wie sich der Knoten wieder auflöst.
Da Bikaner von den meisten Urlaubern links liegen gelassen wird, hält sich die touristische Infrastruktur in Grenzen. So können wir auf dem Weg zum Fort viel Zeit mit der Suche nach einem Frühstück verbringen – und bekommen so einiges aus dem „echten“ Leben in dieser Stadt zu sehen. Irgendwie gefällt uns sowas viel besser als auf Hochglanz polierte reine Touri-Attraktionen.
Manchmal netter, manchmal nerviger Nebeneffekt: wir als Bleichgesichter werden für die Einheimischen zu einer Sehenswürdigkeit, so dass wir uns mal wie Promis, mal wie Tiere im Freiluft-Zoo vorkommen. Dieses Mal nehmen wir uns reichlich Zeit für das Fort und machen die gesamte Besichtigungstour inklusive Audioguide und angeschlossenem Museum. Die Maharadschas, die Herrscher der Rajputen-Clans, haben sich dafür, dass ihre Fürstentümer doch eigentlich recht klein waren, ziemlich großzügige Wohnfesten mit allem, was gut und teuer ist, hingestellt. Auch der Erbauer des Forts von Bikaner und seine Nachfahren haben sich nicht lumpen lassen und die vielen Gebäude und Innenhöfe aufwändig von zahlreichen Künstlern gestalten lassen. In der heutigen Zeit fehlt aber den Herrscherfamilien wohl das nötige Kleingeld – die meisten ihrer ehemaligen Herrschersitze sind inzwischen Nobelhotels, Museen oder an Stiftungen übertragen worden, die sich jetzt so gut es eben geht dem Verfall entgegenstellen. Im Museum sind noch einige Stücke aus dem Besitz der Herrscherfamilie aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert ausgestellt, die deutlich erkennen lassen, dass es schon damals schick war, sich nach westlichen Moden auszustatten und zu kleiden. Also kein ganz neues Phänomen…
Der Nachmittag gehört dann ganz der Altstadt: Wie so oft stürzen wir uns einfach ohne Plan ins Getümmel und biegen je nach Lust und Laune mal links mal rechts ab, bis wir ohne moderne Hilfsmittel nicht mehr zurück finden würden. Hier ist noch viel von der alten Substanz erhalten, so dass wir viele der alten Havelis zumindest von außen bewundern können. Dass die Stadt einmal ein wichtiger Handelsknotenpunkt gewesen sein muss, ist nicht zu übersehen, auch wenn ansonsten heutzutage vom damaligen Reichtum nicht mehr viel übrig ist.
Nun müssen wir uns nach insgesamt fast 3 Monaten im Land von Indien verabschieden. Es heißt zwar von Indien, entweder man hasse oder man liebe es, dazwischen gebe es nichts, aber so können wir das nicht bestätigen. „Indien“ als eine Einheit gibt es in meinen Augen nicht, bei einem so riesigen Land wäre das auch merkwürdig. Kashmir oder Ladakh lassen sich einfach nicht mit Rajasthan oder mit Goa vergleichen. Das wäre so, als würde man Schnitzel mit Zucchini und Spätzle vergleichen: ja, alles sind Nahrungsmittel, aber…
Wir haben von diesem riesigen Land noch längst nicht alles gesehen, aber wir werden definitiv irgendwann wieder kommen!