Nach der relativen Einsamkeit der letzten Tage ist die Hauptstadt Kirgistans natürlich ein krasses Gegenprogramm. Im Vergleich zu den bisherigen Großstädten ist der Stau in die Innenstadt aber erstaunlich schnell überstanden und halbwegs stressfrei. Gleich um die Ecke von unserem Hostel findet die „glückliche Kuh“ ein indisches Restaurant, wir können uns also noch am gleichen Tag die Bäuche vollschlagen und mit der Aufbau-Diät beginnen. In Kirgizstan ist es zwar etwas einfacher als in der Mongolei, was Vegetarisches zu essen zu finden, aber die Auswahl ist doch oft dünn bzw. beschränkt sich eigentlich auf Spiegeleier. In Bishkek haben wir ein eher entspanntes 2-Tages-Programm: Unsere Hinterreifen tauschen, Wäsche waschen lassen und Georg treffen. Punkt 1 ist schnell abgehakt, da schon die 2. Reifenwerkstatt bereit ist, Motorradreifen zu wechseln. Nicht ganz selbstverständlich, in KG ist dieses Fortbewegungsmittel doch eher exotisch. Da die Tagesaufgabe schon erfüllt ist, können wir ja zur Belohnung in den Biergarten. In Bishkek hat sich schon vor zig Jahren ein deutscher Braumeister niedergelassen und stellt ein richtiges gutes Bier her. Damit ist der Nachmittag dann auch schon gelaufen; als wir mehrere Biere später mit leicht wackligen Beinen wieder aufstehen ist es dunkel, wir müssen heim, schlafen.
Georg, ein früherer Overcross-Kollege von Axel, ist für eine Konferenz in Bishkek und hat uns angeboten, seinen freien Platz im Gepäck mit Dingen aufzufüllen, die wir noch aus Europa brauchen. Da unsere Moppeds bisher erstaunlich gut durchhalten, ist uns eigentlich gar nicht viel eingefallen. Trotzdem ist ein bisschen Weihnachten, als wir unsere Mitbringsel auspacken: eine neue Motorradkette, Vegi-Brotaufstrich und Schwarzer Krauser. Seit der Mongolei rauch ich am dortigen „Tabak“ (Kameldung???) rum, der wenn auch sonst nix wenigstens viel und billig war. Georg hat nur 3 Tage Zeit, er hat sich dafür aber ein Motorrad organisiert, damit wir zusammen eine kleine Runde fahren können.
Der Weg aus der Stadt zieht sich, erst nach 50km – davon 20km ätzende Baustelle – lässt der Rummel etwas nach. Wie schön, als wir nach dem Abzweig zum Too Ashu Pass keine Siedlungen mehr vor uns haben. Die Tatsache, dass die Straße Maut kostet hält dummerweise wenige Leute davon ab, diese Strecke gen Süden zu nehmen. Die zahlreichen und mit dem Bergpass total überforderten LKWs trüben ein wenig die Fahrfreude. Wobei – so hat man auch mal Zeit das tolle Panorama hinter sich zu genießen. Am Suusamir Range biegen wir ab und lassen die anderen Verkehrsteilnehmer hinter uns. Die Wellblechpiste führt uns – schon wieder! – durch ein wunderschönes Tal an einem wilden Fluss entlang. Ich pienz mal wieder mit dem Wellblech rum und fahr meistens Schrittgeschwindigkeit. Aber das macht heut gar nix, die Jungs brauchen fast noch länger als ich, weil sie alle Nas lang stehen bleiben, um noch mehr Fotos zu schießen. Georg bringt es auf den Punkt: „Ich hatte ganz vergessen, WIE schön Kirgistan ist!“ Am Nachmittag stoßen wir wieder auf eine Teerstraße. Die Kreuzung ist riesig, es geht 4 spurig in beide Richtungen. Wir entdecken ein Schild Richtung Kazarman und Jalalabad in eine Richtung, in der weder auf unserer Papier- noch auf der OSM Karte ein Feldweg geschweige denn eine Straße eingezeichnet ist. Vielleicht probieren wir die Straße in den nächsten Tagen mal aus, grob in die Richtung wollten wir eh. Georg möchte am nächsten Tag noch eine befreundete Familie am Yssyk Köl besuchen, da zecken wir uns dann auch mit ein. Im Haus der Familie ist immer was los, die Enkel allein könnten schon 2 komplette Fußballmannschaften aufstellen. Gastfreundschaft wird in diesem Land groß geschrieben, ganz selbstverständlich bekommen wir gleich Tee, später noch Abendessen und können auch hier schlafen. Nach einer ausgiebigen Fotosession – wobei die anwesenden Familienmitglieder kaum alle aufs Bild passen – brechen wir bei mäßigem Wetter am nächsten Morgen auf. Unsere Wege trennen sich schon wieder, Georg muss zurück nach Bishkek zu seiner Konferenz, wir wollen gucken, wie wir am besten dem schlechten Wetter entgehen. Tatsächlich sind wir nach einer Stunde aus dem gröbsten raus und sehen nur noch die Überreste der heftigen Regen- (und Schnee-!)fälle auf der Straße. Morgen wollen wir ein zweites mal zum Song Köl hoch, es gibt noch einige Auf- und Abfahrten, die auch noch spektakulär sein sollen. Und tatsächlich erwischen wir bei wieder herrlichem Wetter einen der schönsten Pässe, die ich je gesehen habe. Erst geht es durch eine enge Schlucht mit Bergbach und Wald, bevor sich die Straße an einem Berghang emporschlängelt und alle paar Meter ein neues atemberaubendes Panorama bietet. Allmählich gehen mir die Adjektive aus, wenn ich dieses Land beschreiben soll!
Am See bleiben wir diesmal nicht, trotz Sonnenschein ist es hier auf 3000m empfindlich kalt. Die Abfahrt auf der anderen Seite vermiest uns eine Kohlemine ein wenig, die Landschaft ist zwar nur wenig beeinträchtigt, die Vielzahl an LKWs hat die Straße aber ziemlich runtergeritten. Abends gehts ja noch, auf den wenigen Kilometern, die wir nach der Mine noch fahren, ist gerade kaum Verkehr. Am nächsten Morgen aber reiht sich ein LKW an den anderen. Bei der schmalen, holprigen und sehr staubigen Straße grenzt es an Selbstmord zu überholen und so brauchen wir ewig, bis wir wieder an der Hauptstraße sind, an der die meisten LKW zum Glück in eine andere Richtung abbiegen als wir.
Wir sind wieder fast an der schicken neuen Kreuzung mit dem vielversprechenden Schild Richtung Kazarman, das probieren wir jetzt einfach mal. Nach einer kurzen Verzögerung – wir haben uns von einem der nervtötend vielen blitzenden Polizisten erwischen lassen – befahren wir eine niegelnagelneue Teerstraße, auf der außer uns niemand unterwegs ist. Ich glaub ja nicht, dass das ein gutes Zeichen ist, sehr neue Straßen neigen leider dazu, recht bald in Baustelle und dann in Feldwege überzugehen. Aber das ist erstmal egal, nach jeder Kurve überrascht uns eine neue großartige Aussicht, erst ein kleines Waldgebiet in einem Flussdelta, dann eine bunte, bestimmt 500m hohe Steilwand, ganz zu schweigen von den zig möglichen Campspots direkt am Ufer des rauschenden Flusses.
Der Teerbelag ist tatsächlich bald vorbei, die planierte Schotterstraße ist aber keinen Deut schlechter. Erst nach knapp 50km mehren sich die Baustellenstücke, bis zur angeschriebenen Stadt Kazarman sind es noch ca. 30km Luftlinie. An einer Brücke ist dann Schluss, Axel fährt zwar trotz Verbotsschild noch drüber, mich erwischen aber die beiden betüdelten Brückentrolle, bevor ich hinterher kann. Sie erzählen mir irgendwas, dass es einen Erdrutsch gegeben habe und es daher verboten sei, weiter zu fahren. Naja, „verboten“ muss ja nicht gleich „unmöglich“ heißen, daher versuchen wir erstmal zu verhandeln. Allerdings lassen die Wärter nicht wirklich mit sich handeln bzw. rufen 100US$ als Bestechung aus, was uns definitiv zu viel wäre, vor allem da sie noch hämisch dabei lachen. Und so drehen wir irgendwann doch noch zähneknirschend um. Vor ein paar km ging eine Straße rechts ab, die unser GPS kennt und die uns irgendwann nach Toktogul, also wenigstens grob in die richtige Richtung führen müsste.
Nur wenige Meter nach der Abzweigung verwandelt sich die Straße dramatisch. Es geht steil bergab, die Erdpiste ist so tief zerfurcht, dass nur ein winziger Steg übrig ist, auf dem man mit viel Glück „fahren“ kann. Nach knapp 3 km finden wir ein kurzes ebenes Stück, auf dem man stehen bleiben kann, also halten wir erstmal Kriegsrat. Wir haben beide absolut keinen Bock, dieses Stück wieder zurück zu fahren, gut möglich, dass wir das bergauf gar nicht so ohne weiteres schaffen. Also bleibt eigentlich nur, die knapp 140km ins Ungewisse zu fahren. Schon absurd, dass dieses „Ungewisse“ weniger schreckt als gerade mal 3km Scheiß-Strecke, aber so ist es. Leider erfüllt sich unsere Hoffnung auf baldige Besserung nicht wirklich. Nachdem ich mich in einer Auswaschung erstmal hingelegt und einfach keine Lust mehr auf die engen, steilen und gerölligen Kehren habe, nehmen wir den erstbesten halbwegs ebenen Platz für die Nacht und verschieben unsere Sorgen auf morgen.
Über Nacht hat sich die Piste überraschenderweise NICHT in eine gut ausgebaute Autobahn verwandelt. In 23km mündet unser Feldweg in eine auch auf der Papierkarte eingezeichnete kleine Straße, wir hoffen einfach, dass es spätestens dann besser wird. Die Weiterfahrt ist eine ziemliche Quälerei, mein GPS spuckt uns eine Durchschnittsgeschwindigkeit von knapp 7 km/h aus. Aber bis auf einen weiteren Umfaller und kurzen Wutanfall meinerseits (kennt Ihr diese 3-4 jährigen verzogenen Gören, die im Supermarkt was wollen, es nicht kriegen und dann nen Mega-Aufstand machen? Ungefähr so will ich mich auch aufführen) bringen uns die Moppeds da tatsächlich unfallfrei durch. Es ist erstaunlich, was die DRs mit voller Beladung so alles schaffen! An der „Kreuzung“ dann die nächste Enttäuschung: Es geht links und rechts genau so weiter. Rechts wäre die Entfernung zur nächsten größeren Schotterstraße zwar wahrscheinlich kürzer, aber die Richtung ist vollkommen falsch. Also ab nach links und mal wieder hoffen. Tatsächlich finde ich die Strecke nicht mehr ganz so schlimm, ich schalte sogar zum ersten Mal heute in den zweiten Gang. Als wir auf gleich 4 verärgerte Hunde treffen, finde ich heraus, dass man einen steilen, ausgewaschenen und mit Geröll gespickten Hang durchaus auch mit 40 Sachen hoch kommt, wenn man wirklich wirklich will 🙂
Kurz darauf kommen uns tatsächlich 2 Schweizer auf alten Ténérés entgegen, unglaublich, dass es noch mehr solche Idioten wie uns gibt, die hier lang fahren. Natürlich müssen wir uns erstmal über Straßenzustände austauschen. Da ist es immer gut, auf Motorradfahrer zu treffen, Autofahrer haben mit den Straßen einfach andere Schwierigkeiten, da sind Aussagen über die Wege mit Vorsicht zu genießen. Die Schweizer machen uns Hoffnung, zwar geht es noch einen recht steilen Pass runter, aber nach dem nächsten Dorf soll die Strecke um Welten besser werden. Also frisch voran, bergab wieder im ersten Gang und mit vollem Gewicht auf der Hinterbremse. Tatsächlich – im Tal erwartet uns ein erfrischender Fluss, an dem wir uns den Angstschweiß abwaschen können und EINE RICHTIGE STRAßE!!! Zwar auch Schotter, aber in traumhaftem Zustand. Endlich kann ich auch wieder meine Umgebung genießen, seit der verfluchten Abzweigung hab ich den Blick nicht mehr von der Piste vor mir wenden können. Urplötzlich macht das Schotterfahren Spaß und in Rekordzeit erreichen wir Toktogul, wo wir uns mal wieder ein Hostel gönnen. Eine Dusche und ein ordentliches Abendessen haben wir uns heute aber so richtig verdient!