Bei strahlendem Sonnenschein machen wir uns auf den Weg zurück zur Hauptstraße, die uns nach Srinagar führen soll. Erstmal genießen wir aber noch die fast leere, schön geteerte Bergstraße im Schatten spendenden Wald. Viel zu bald erreichen wir die Hauptstraße, von der uns andere Motorradreisende schreckliches berichtet haben. Auch wir stecken bald im dichten Verkehr, immer wieder müssen wir an Baustellen halten. Leider gibt es hier keine „Baustellenmanager“, die dafür sorgen, dass abwechselnd gefahren werden kann. Wer zuerst in der Engstelle drin ist, fährt auch. Das sieht der Gegenverkehr aber auch nicht ein und drängelt sich ebenfalls ins Gewühl. So entstehen laufend unlösbar erscheinende Knoten, niemand kann mehr vor oder zurück. Mit den Motorrädern schaffen wir es zum Glück meistens, uns irgendwie durch den Straßengraben oder durch das letzte bisschen Lücke zu drängeln, aber die Autos und LKWs stecken oft ewig in sowas fest, bis aus irgendeiner Paralleldimension doch noch die benötigten Zentimeter auftauchen.
In der Region Kashmir ist zudem gerade Erntezeit, so dass in Gegenrichtung extra viele LKW unterwegs sind. Bestimmt 50km fahren wir an einem einzigen LKW-Stau entlang, in der ganzen Zeit habe ich nicht eine nennenswerte Bewegung darin gesehen. Die Autofahrer, die uns entgegenkommen, wollen sich natürlich nicht auch noch in diese Schlange stellen und überholen an allen möglichen und unmöglichen Stellen, ob grad jemand entgegen kommt oder nicht. Mehrere Male bin ich wirklich erstaunt, dass ich noch zwischen Gegenverkehr und Straßengraben durch passe und nicht von der Straße geschubst werde. Allmählich werd ich echt sauer, so wenig Rücksichtnahme hab ich noch nicht erlebt. Naveen, bei dem wir in Jammu gewohnt haben, hat den indischen Verkehr so erklärt: Inder können ca. 2 Sekunden in die Zukunft sehen und wissen daher genau, ob dann der andere Verkehrsteilnehmer ausweicht oder nicht. Ich hab diese Gabe leider nicht und bekomme daher auf der Strecke gleich mal 100 Herzinfarkte. Wenn man seinen Beinahe-Mörder dann anhupt, guckt er einen nur vollkommen verständnislos an.
Mit viel Glück überstehen wir den schlimmsten Teil der Strecke tatsächlich unfallfrei. Leider hat die ganze Rumsteherei und Drängelei viel Zeit gekostet. Eigentlich würden wir uns jetzt hier, ca. 70km vor Srinagar, gerne eine Unterkunft suchen, aber es taucht mal wieder so gar nichts auf. So kommen wir in die Nacht, was wir motorradfahrend eigentlich gar nicht mögen, aber es hilft ja nichts, ein Zelt am Straßenrand aufstellen, ist hier auch gerade nicht möglich. Wenigstens hatten wir heute Morgen schon ein paar mögliche Unterkünfte in Srinagar rausgesucht, so dass wir dort nur noch hinfahren müssen. Am Dal-Lake liegen hunderte Hausboote mit 2 oder 3 Gästezimmern, die nur per Taxi-Booten, den sogenannten Shikaras zu erreichen sind. Die Hausboote sind Überbleibsel aus der beginnenden Kolonialzeit, als es Ausländern nicht erlaubt war, Grund für ein Haus zu erwerben. Also hat man sich halt aufs Wasser verlegt und dort teils recht prächtige schwimmende Paläste errichtet.
Natürlich müssen unsre Moppeds auf dem Festland bleiben, einer der Shikara-Fahrer begleitet uns zu einem Bezahl-Parkplatz, wo wir sie stehen lassen können. So richtig vertrauenerweckend schaut das hier ja nicht aus, aber wir haben einen Großteil des Gepäcks schon am Kai abgeladen und ehrlich gesagt auch keine Lust mehr, uns was anderes zu suchen. Also hoffen wir das beste und lassen uns zum Hausboot unserer Wahl schippern. Dort werden wir herzlich vom Bootseigentümer und dem bootseigenen Butler (ja, genau!) empfangen, Abendessen gibt es auch noch. Das wars dann aber erstmal für heute, wir sind ziemlich erledigt, Morgen ist auch noch ein Tag.
Ein bisschen Kultur muss ja auch mal sein, also machen wir uns nach einem späten Frühstück auf Richtung Hindu-Tempel Shankaracharya. Der liegt ziemlich weit oben auf einem Hügel, was uns mächtig ins Schwitzen bringt. Unten am Anfang des Weges haben wir noch voller Elan auf eine Riksha verzichtet, jetzt bereuen wir unsere Entscheidung zu Fuß zu gehen. Mit letzter Kraft kommen wir oben an. Der Eingang zum Tempelgelände ist schwer gesichert, aus irgendeinem Grund muss man neben Fotoapparaten und Smartphones auch jegliche Rauchwaren abgeben. Der kleine, eigentlich unscheinbare Tempel ist schnell besichtigt und so machen wir uns wieder an den Abstieg. Freie Rikshas gibts hier oben keine, also alles wieder zu Fuß. Bis wir unten ankommen ist es schon gar nimmer früh, daher stärken wir uns nur kurz mit lokalem Apfelsaft und ein paar Pakoras, bevor wir zum Hausboot zurückkehren. Wir wollen nämlich noch so richtig Touri-mäßig eine Shikara-Rundfahrt über den See unternehmen, bevor die Sonne untergeht. So verpassen wir zwar die berühmten Mogul-Gärten, aber man kann halt nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Die Rundfahrt führt uns an Seerosen-und Lotus-Feldern vorbei in zig Kanäle, in denen aus schwimmenden Läden diverse Souvenirs aber auch Klopapier oder Fastfood verkauft werden.
Als wir Richtung Ladakh aufbrechen wollen und dafür unsere Moppeds wieder beladen, machen wir eine unschöne Entdeckung: Auf dem angeblich bewachten Parkplatz hat jemand in aller Ruhe Axels Tankrucksack ausgeräumt. Die Wertsachen hatte er natürlich mitgenommen, aber unsere Möglichkeiten für Gepäck auf der Shikara waren begrenzt, daher ist der Tankrucksack selber mit einigen Kleinigkeiten am Mopped geblieben. Dafür, dass jetzt 2 Taschenmesser und eine Taschenlampe fehlen, fühlt sich der Parkplatzwächter mal so gar nicht verantwortlich und will uns sogar nochmal mehr Parkgebühr abknöpfen, obwohl wir eigentlich eh schon zu viel bezahlt haben. Das lassen wir uns dann aber doch nicht bieten und machen uns aus dem Staub. Mega wertvoll waren die geklauten Dinge nicht, aber ich finde es schade, wenn einem durch solche Vorfälle die Laune verdorben wird.
Wir werdens überleben – auf in die Berge! Der Verkehr ist deutlich entspannter als auf der Straße nach Srinagar, die paar nervigen Überholer können wir wegstecken – auch wenn wir sie immer wieder treffen: der Lieblingssport hier ist es, erst höllisch riskant und knapp zu überholen und keine 10 Sekunden später ohne Vorankündigung am Straßenrand eine Vollbremsung hinzulegen um irgendwas zu erledigen. Wir also wieder dran vorbei, damit das Spielchen von vorne losgehen kann. Uns kommen ganze Kolonnen von Militär – Mannschaftstransportern entgegen teilweise mit bewaffneten Soldaten auf dem Dach, ob da mal wieder was im Busch ist? Bald führt die Strecke immer weiter bergauf, kurz vor dem Pass ist erstmal für ein paar km Schluss mit Teer. Die Straße wird stellenweise ein bisschen schlammig und ordentlich schmal. Es scheint 2 Strecken auf den Pass hoch zu geben, zum Glück sind auf unserer nicht viele Fahrzeuge unterwegs. Wenn dann doch jemand entgegenkommt, wirds aber interessant. Eigentlich würde man meinen, dass hier höchstens ein Motorrad und ein Kleinwagen aneinander vorbeikommen, aber aus einem mir nicht ersichtlichen Grund schaffen es sogar 2 dicke LKWs. Eins muss man den Indern lassen: Sie wissen auf den Millimeter, wie lang und breit ihr Fahrzeug ist!
Wir bekommen schon einen ersten Eindruck dieses gewaltigen Gebirges auf unserem Weg nach Kargil. Obwohl sich der Pass schon über 3500m über das Meer erhebt, ragen zahlreiche schneebedeckte Gipfel noch ein gutes Stück über uns auf. Dank jetzt wieder guter Straße kommen wir nachmittags wohlbehalten in der quirligen, muslimisch geprägten „Metropole“ am Eingang zum Suru-Valley an. Mal sehen, wie es die nächsten Tage weiter geht, der Winter ist dieses Jahr recht früh hier eingefallen…
Einmal mehr tolle Eindrücke mit super Bilder, freue mich sehr über eure interessanten Berichte! Bleibt Gesund!
Besten Dank, Christian
Wie kann ich euch ein paar Liter Sprit spenden?
Hallo Christian,
danke danke, freut uns, wenn Dir unsere Berichte gefallen!
Eine Spritspende wäre natürlich immer gut, besonders wenn es wie in Zanskar mal wieder keinen an der Tanke gibt 🙂 Womit Du uns aber wirklich eine Freude machen würdest, wäre eine kleine Spende an die Kailash Bodhi School (Kathmandu): http://www.patenschulen.de/150.html
Das Projekt werden wir in den nächsten Wochen noch besuchen und haben dort selber eine Patenschaft.
Liebe Grüße, Suse