Indien – Uttarakhand

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Nov 212018
 

Wir brechen unseren Rekord was die Abfahrtszeit angeht nur knapp nicht, als wir endlich von Dehradun loskommen. Damals in Valparaiso, Chile, ging es stark auf 17 Uhr zu, als wir die knappe 100km nach Santiago in Angriff genommen haben. Heute ist es „erst“ fast 4, dafür geht in knapp 1 1/2 Stunden die Sonne unter.

Wie praktisch, dass wir nur gute 40km nach Rishikesh vor uns haben. Die Stadt ist für die vielen Ashrams und Yoga-Schulen berühmt, vor allem seit in den späten 60ern die Beatles mehrere Wochen, teilweise Monate dort verbrachten. Yoga ist ja eigentlich nichts für uns, aber eine abendliche Lichterzeremonie am Ufer des Ganges wollen wir uns mal anschauen. Die gibt es zwar auch im nahen Haridwar, doch dort soll es vor Pilgern nur so wimmeln, während es in Rishikesh noch entspannter zugeht. Ein Hostel, das uns zusagt, haben wir kurz vor Sonnenuntergang grad noch gefunden und wir können zum gemütlichen Teil übergehen. Da hier reichlich europäische und israelische Touristen und Yoga-Willige absteigen, haben sich zahlreiche Restaurants auf ihre Gäste eingestellt. So lecker das indische Essen ist, jetzt nutzen wir die günstige Gelegenheit und probieren mal was anderes, und das sogar zu erstaunlich vernünftigen Preisen. Ein Abendessen kostet trotz Touri-Zuschlag immernoch nur zwischen 2 und 3 Euro. Was das Ausgehen auch noch günstig macht: In Rishikesh ist der Alkoholverkauf  aus religiösen Gründen verboten, so dass wir nicht in Verlegenheit kommen, für ein Bier nochmal genau so viel auszugeben…

So richtig viel haben wir uns gar nicht vorgenommen, einziger Pflichtprogrammpunkt ist die Ganga Aarti Zeremonie zum Sonnenuntergang. Das Wetter ist herrlich und ich verspüre Bewegungsdrang. Wenige Kilometer von unserer Unterkunft entfernt lockt ein Wasserfall im Dschungel Besucher an, das kann man doch nach einem späten und ausgiebigen Frühstück gschwind mal machen. Womit wir nicht gerechnet hatten: Auf einigen Bäumen am Straßenrand tummelt sich eine Affenfamilie und fesselt uns und unsere Fotoapparate für eine geraume Weile. Der anvisierte Wasserfall liegt eigentlich nur wenige 100m neben der Hauptstraße, doch das letzte Stückchen Weg dorthin gestaltet sich doch noch abenteuerlich. Durch dichten Dschungel kämpfen wir uns auf einem manchmal kaum sichtbaren Pfad bergauf, man könnte glauben, die Zivilisation schon vor Tagen hinter sich gelassen zu haben. Nach einer letzten mit Glück mit trockenen Füßen überstandenen Bachquerung hören wir endlich den Wasserfall plätschern und begegnen einer Familie an einer Kreuzung. Ich glaube, auf dem Rückweg nehmen wir diesen Pfad, sieht irgendwie benutzter aus. Der Wasserfall selber ist nur zu sehen, wenn man noch einige Meter über im Bach liegende Felsen balanciert, das lässt mein mieses Gleichgewichtsgefühl aber nicht zu. Dieses Problem haben vier junge Inder, die kurz nach uns ankommen, nicht, für das obligatorische Selfie werden alle „Gefahren“ auf sich genommen 🙂

 

Der Weg zurück zur Straße ist dann doch nicht einfacher, vielleicht haben wir auch irgendwo eine falsche Abzweigung genommen. Jedenfalls hab ich diesmal nicht so viel Glück mit trockenen Füßen und stehe am nächsten Bach nach einem ungewollten Ausfallschritt bis zu den Waden im Wasser. Da können ausnahmsweise die Bergstiefel dann auch nichts mehr dafür, dass Wasser reinläuft… Bis wir zurück in der Stadt sind und ich Schuhe gewechselt hab, wird es schon langsam knapp für die Lichterzeremonie, die zum Sonnenuntergang in knapp einer Stunde an einem Tempel am gegenüberliegenden Gangesufer stattfinden soll. Mit der Riksha kommen wir nur wenige Meter weit, die Straße ist für einen Umzug gesperrt, Mist! Also doch schnell zu Fuß weiter, eigentlich wollten wir doch ganz gemütlich machen. Die Zeremonie ist mit Gesang der Vedenschüler und Glockenspiel dann zwar schon in vollem Gange, es stört sich aber niemand daran, als wir schnell unsere Schuhe ausziehen und uns noch dazu gesellen. Es bestätigt sich schnell, dass ich einfach kein spiritueller Mensch bin, ich finds langweilig. Ab und zu gehen Besucher mit mitgebrachten oder noch schnell am Tempeltor gekauften Papp-Bötchen, die mit Blumen und Kerzen geschmückt sind, zum Ufer und lassen sie im Ganges schwimmen um so der Göttin Ganga zu huldigen. Nach einer gefühlten Ewigkeit erheben sich die in gelbe Gewänder gekleideten Bewohner des Ashrams mit ihren künstlerisch gestalteten Öllampen und lassen sie bei weiterem Gesang einige Minuten vor sich kreisen. Auch einige Teilnehmer schwenken Teller mit entzündeten Teelichtern vor sich. Dann ist es ganz plötzlich vorbei, die zahlreichen Besucher zerstreuen sich schnell. Uns knurrt jetzt vor allem der Magen, Mittagessen ist ausgefallen. Aber das wird hier kein Problem, das Gangesufer ist mit Restaurants und Cafés ja gut ausgestattet.

Auch wenn wir die letzten Tage in Dehradun schon Pause hatten, fühlen wir uns nicht wirklich erholt. So bleiben wir auch in Rishikesh noch einige Tage hängen und lassen es uns gut gehen. So gönnen wir uns z.B. einen indischen Kochkurs, damit wir auch zu Hause nicht auf leckeres Dal oder Shahi Paneer verzichten müssen. Ansonsten bestehen die nächsten Tage hauptsächlich aus Essen und Mango-Lassi, ab und zu vielleicht noch einem Kaffee oder Tee und VIEEEL Entspannung – Yoga brauchen wir da nicht. Jeden Tag versuchen wir wieder uns für oder gegen Diwali in Dehradun zu entscheiden. Das Fest findet erst in 10 Tagen statt und wir wissen nicht so recht, wie wir die Zeit bis dahin verbringen sollten. Klar, da gibt es noch die eine oder andere Pilgerstätte, die man besuchen könnte, nur leider liegen die alle in den Bergen und da ist es wieder so unangenehm kalt. Außerdem zieht uns Nepal magisch an. Auf der anderen Seite wäre es bestimmt ein tolles Erlebnis, eine der wichtigsten hinduistischen Feiern im Kreise einer Familie mitzuerleben. Wir überlegen hin und her, aber schlussendlich gewinnt Nepal.

Auf der Hauptstraße wäre die Grenze zu Nepal in knapp 1 1/2 Tagen zu erreichen, aber diese Strecke führt durch das heiße Tiefland und ist nicht nur wegen viel Verkehr eher uninteressant. Deshalb entscheiden wir uns für den Weg durch die Ausläufer des Himalaya, auch wenn der fast doppelt so weit und sicherlich nicht als Autobahn ausgebaut ist. So richtig gut lässt sich die Strecke auch nicht an, fast sofort geht die erst schön geteerte Straße in eine einzige Baustelle über. Die indischen Auto- und LKW-Fahrer verlangen mal wieder unsere ungeteilte Aufmerksamkeit, in den zahlreichen Bussen sitzen offensichtlich nur Psychopathen am Steuer. Hoffentlich wird das besser, wenn erst einmal die Straße nach Badrinath abgezweigt ist, einem der viel frequentierten Pilgerorte. Heute kommt keine Fahrfreude mehr auf, zum Glück haben wir uns kein all zu fernes Ziel gesetzt, nach knapp 100km und 3 1/2 Stunden Fahrt kommen wir in Srinagar an. Im ersten Guesthouse ist nichts frei, das zweite ist uns zu teuer, das dritte zu schäbig, dann wirds halt doch das zuvor auf booking rausgesuchte. Ist zwar auch nicht so billig wie gehofft, wir haben aber auch keine Lust mehr zu suchen. Leider sind wir beide nicht besonders gut im Feilschen, sonst wäre sicherlich noch was drin. Als ich das Zimmer angeschaut habe, war gerade Stromausfall, so dass es recht dunkel war, da sah alles noch recht sauber aus. Das ändert sich, als das Licht angeht. So langsam haben wir keine Lust mehr auf die ewig dreckigen Zimmer und die ungewaschenen Bettlaken und – falls vorhanden – Handtücher. Auf Nachfrage gibt es zwar meistens Ersatz, aber sauberer ist der oft auch nicht. Klar – wir könnten uns in teurere Hotels einmieten, wenn es denn welche gibt, aber das würde auf Dauer unser Budget sprengen. Also mal wieder den Schlafsack rausholen und hoffen, dass man nachts nicht rausrutscht und mit dem Gesicht im nächsten Sabber- oder Sonstwas-Fleck zu liegen kommt.

So langsam kommt die Fahrfreude zurück, nachdem wir nicht mehr auf der Straße nach Badrinath sind, geht der Verkehr deutlich zurück. Wir stärken uns gerade an einem Büdchen mit Dal und MixVeg als ein weiteres Motorrad mit Rosenheimer Kennzeichen anhält. Und dann packt der Fahrer tatsächlich eine Katze aus dem Tankrucksack aus! Martin ist seit Monaten mit Katze auf dem Motorrad unterwegs, aufgelesen hat er sie als ganz Kleine in Marokko, da ihre Mutter von einem Auto überfahren wurde. Jetzt macht es sich Mogli eben im Tankrucksack bequem oder spaziert bei langsamer Fahrt auch mal darauf herum 🙂
Der Verkehr ist zwar weniger geworden, die Kurven und Baustellen Stücke sind aber geblieben. Wir kommen gerade mal auf einen 30er Fahrschnitt und finden just bei spektakulärem Sonnenuntergang eine Bleibe am Straßenrand, diesmal sogar fast sauber und mit lecker Abendessen.

Immernoch trennen uns 270km von der Grenze, dass es soo langsam voran geht, hätten wir auch nicht gedacht. Dafür haben wir aber echt schicke Landschaft mit Wald, Terassenfeldern und niedlichen Dörfern um uns rum. Zum Glück haben wir keine Termine, so können wir auch unsere Langsamkeit genießen und wann immer wir wollen für ein Foto oder ein Tässchen Milktea Halt machen. Unsere Karte hatte behauptet, die letzten 100 Kilometer, die wir an Tag 4 noch bis zur Grenze haben, seien Haupt-/Fernverkehrsstraße. Gut, dachten wir uns, dann kommen wir gut voran und haben viel Zeit für die Grenze. Tja, Haupverkehrsstraße soll sie offensichtlich irgendwann werden, aber dafür muss man sie erstmal ausbauen. Und dafür muss man den Hang neben der Straße sprengen und/oder wegbaggern und die restliche Teerdecke aufreißen und durch staubige Rüttelpiste ersetzen. Und das muss natürlich erst auf der gesamten Strecke passiert sein, bevor man überhaupt daran denkt, die schon verbreiterten Stücke wieder halbwegs befahrbar zu machen. So müssen wir uns halt durch 90km Baustelle quälen, bevor wir nachmittags erst doch noch ein frisches Stück Raserstrecke und dann die Grenzstadt auf indischer Seite erreichen. Als uns das Navi auf ein Sträßchen mit Fahrradwegausmaßen schickt, muss ich doch erstmal nachgucken, ob es richtig gerechnet hat. Doch, das hier ist die dick eingezeichnete Straße zum internationalen Grenzübergang nach Mahendranagar. Wir fahren an Dutzenden schwer beladenen Fahrrädern und Rollern vorbei, dann stehen wir erstmal an einem verschlossenen Gatter, durch ein Fußgängertor daneben drücken sich gerade so einige Fahrräder und Scooter durch. Als das Tor kurz drauf geöffnet wird, geht es auch für uns weiter. Ist die Brücke da vorne wirklich so schmal wie sie aussieht? Ja, ist sie: Mit Müh und Not passen unsere dicken Moppeds an den Fahrrädern vorbei, wie haben da bloß die Autos drüber gepasst, die gerade noch am Tor standen? Vor allem wenn ihnen noch wer entgegenkam? Die Ausreise ist dann auch mehr als entspannt, wir müssen für die Stempel im Pass nicht anstehen, auch die Carnets werden sofort bearbeitet. Nach einem dritten Posten, dessen Sinn uns mal wieder nicht klar wird, der aber noch unsere Führerscheinnummer notiert, sind wir nach wenig mehr als 30 Minuten aus Indien ausgereist.
Nach sechs Wochen in diesem Land sind wir wirklich auf Nepal gespannt.

Oft heißt es, Indien liebt man oder man hasst es. Angeblich sei es so hektisch und dreckig, der Verkehr sei absolut tödlich und ständig sollen Menschen an den Straßenrand scheißen. Oder es sei ein absolut spirituelles Land, in dessen heiligen Zentren man sich ganz neu entdecken kann. Von allem haben wir ein bisschen was erlebt (nur auf die an den Straßenrand kackenden Leute haben wir vergeblich gewartet). Der Verkehr ist tatsächlich gewöhnungsbedürftig aber irgendwie funktioniert es, bei uns daheim würde ein solches Fahrverhalten zu Mord und Totschlag führen, hier bleiben die allermeisten Fahrer entspannt. In den Städten liegt viel Müll herum und die Hotels haben ein anderes Verständnis von Sauberkeit als wir, aber es ist längst nicht so wie in meinen Horrorvorstellungen. Und ich fand es zwar außergewöhnlich, wieviel man sich hier noch mit religiösen Riten beschäftigt, aber erleuchtet fühl ich mich auch nicht. Ich schätze, das „echte“ Indien haben wir, da wir uns nur im Nordwesten herumgetrieben haben, noch gar nicht erlebt. Ich bin gespannt, wie jetzt erstmal Nepal und dann der nächste Abschnitt unseres Indienaufenthalts wird!

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